Lasst eure Lenden umgürtet sein und eure Lichter brennen.
Stay tuned, würde man heute wohl sagen. Oder: Keep connected. Früher sollte man am Ball bleiben und ganz früher seine Lenden umgürtet lassen.
Alter Hut also, wach bleiben, dran bleiben, nicht nachlassen und vor allem nicht einpennen. Es wäre ja noch einfach, wenn hier ich wäre und da das Erwartete. Aber so ist es leider nicht.
Wie ich mich vorbereite oder vorbereiten muss, hängt einzig und allein von dem ab, wer oder was ich bin. Ein Amateur bereitet sich anders vor als ein Profi, ein Kraftprotz anders als ein Kranker, ein Denker anders als ein Macher, anders als ein Phlegmatiker, anders als ein Checker, anders als ein Betonkopf, anders als vielleicht ich.
Aber ich? Ich bin heute so und morgen anders. Hier stark, da schwach. Was mich jetzt brennend interessiert, wird mich morgen langweilen. Gestern konnte ich Orientierung geben, heute irre ich umher. Die Schuld, die ich gerade noch gesehen habe, ist in drei Stunden vergessen. Dass ich mal Verkäufer werde, hätte mir mal einer im Studium erzählen müssen. Die Frau, der ich einst Treue schwor, habe ich schon Monate später betrogen und konnte es selbst nicht glauben. Niemand korrigiert mich, wenn ich in dem Freund den Feind erkenne, nur weil er anderer Meinung ist. Erzählen mir alte Bekannte, was ich vor Jahren gesagt haben soll, kann ich nur den Kopf schütteln.
Ich? Wer soll das sein? Kaum ändert sich die Situation, tritt etwas Neues hervor, das mit dem Vorherigen nichts zu tun hat. Ich bin nicht einfach „soundso“ (schönes Lied von den Helden). Ich bin viele! Wir sind viele!
Man muss gar nicht erst anfangen mit den KZ-Bestien, die zu Hause fürsorgliche Familienväter waren. Es stimmt auch im Kleinen, es stimmt auch bei uns: Niemand ist nur sie oder er. Was wir sehen, ist nur eine Facette, von denen es noch viele andere gibt. Gültigkeit hat das, was jetzt ist, und jetzt ist nicht irgendwann. Bestimmen wir den Charakter eines Menschen, so kriegen wir nicht mehr zu fassen als die Summe des wiederholt Wahrgenommenen, das aber auch gar nichts über die Gesamtheit aussagt.
Wer bin ich, wenn ich in einer Favela zurechtkommen muss? In einer Diktatur? In einem Rollstuhl? In einem Krieg, nach einem Krieg? Im Angesicht der Heiligkeit?
Muss ich mich darauf einstellen?
Ich weiß nicht, wer ich dann bin - aber ich soll drauf gefasst sein. Auf alles soll ich gefasst sein. Es gibt nur einen Weg, sich vorzubereiten auf das, was kommt: Ich muss einverstanden sein, einverstanden mit allem. Mag sein, dass ich nicht sagen kann, wer ich bin. Aber mein Einverständnis, darauf kann ich gehen, das ist eine Brücke, eine Brücke zu allen und allem.
Ein Wort am Schluss, so klein, so schwer, alles von uns fordernd:
Ja
Seit dreißig Jahren versuche ich nachzuweisen, dass es keine Kriminellen gibt,
sondern normale Menschen, die kriminell werden.
Georges Simenon
Um einen guten Liebesbrief zu schreiben, musst du anfangen,
ohne zu wissen, was du sagen willst, und endigen,
ohne zu wissen, was du gesagt hast.
Jean-Jacques Rousseau